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Archiv 16. Oktober 2017

Die Mittel reichen nicht aus

Dipl.-Ing. Jochen Selzer ist Vorsitzender des Straßen- und Tiefbau-Verbands Nordrhein-Westfalen und Geschäftsführender Gesellschafter der JS Infrabau. Kürzlich sprachen er und Lutz Pollmann, Hauptgeschäftsführer der Baugewerblichen Verbände, mit dem neuen NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst über aktuelle Pläne der Landesregierung zum Erhalt und Ausbau der Infrastruktur.

Jochen Selzer.
Jochen Selzer.

Dipl.-Ing. Jochen Selzer ist Vorsitzender des Straßen- und Tiefbau-Verbands Nordrhein-Westfalen und Geschäftsführender Gesellschafter der JS Infrabau. Kürzlich sprachen er und Lutz Pollmann, Hauptgeschäftsführer der Baugewerblichen Verbände, mit dem neuen NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst über aktuelle Pläne der Landesregierung zum Erhalt und Ausbau der Infrastruktur.

Herr Selzer, NRW möchte künftig mindestens 200 Mio. Euro pro Jahr in den Erhalt der Landesstraßen stecken. Wie groß war das Budget für diese Maßnahmen bisher?

Selzer: Die für 2017 im Etat vorgesehenen 200 Millionen Euro für den Erhalt und Ausbau der Landesstraßen inklusive Radwegebau sowie weiterer Einzeltitel stellen gegenüber dem Jahr 2016, in dem 186 Millionen Euro investiert wurden, eine Steigerung von rund 7% dar. Im Jahr 2015 wurden bereits 173 Millionen investiert, insofern betrug die damalige Steigerung zum Vorjahr ebenfalls nahezu 7%. Eine besondere Anstrengung zur Verbesserung der Straßenzustände ist insofern nicht auszumachen. Des Weiteren relativiert sich die Steigerungsrate um das Maß der Preissteigerungen im Straßen- und Tiefbau, die in den letzten Jahren ebenfalls bei deutlich über 2 jährlich lagen.

Insofern kann ich hier nicht erkennen, dass es – der Wichtig- und Dringlichkeit angemessene – Anstrengungen gibt, die die Qualität der Infrastruktur kurz- sowie mittelfristig spürbar verbessern werden.

Gemessen an den gigantischen Aufgaben in NRW erscheint die Investitionssumme insgesamt also recht überschaubar. Wie hoch schätzen Sie den Sanierungs- und Ausbaubedarf ein?

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Selzer: In NRW warten umfangreiche und dringliche Aufgaben im Bereich Infrastruktur auf die Umsetzung. Die Infrastrukturnetze, die hier in den Nachkriegsjahren entsprechend der boomenden Wirtschaft errichtet wurden, erfuhren in den darauffolgenden Jahren nicht die angemessene Wertschätzung durch entsprechende Wartungsintervalle und Unterhaltungsarbeiten. Vielmehr musste man den Eindruck haben, dass aus ideologischen Gründen Verkehrssysteme abgewirtschaftet werden sollten. Mit der letzten Landesregierung wurde eine Trendwende eingeleitet. Der Nachholbedarf zum Erhalt der vorhandenen Substanz ist allerdings immens hoch und teilweise nur im Neubau möglich. Eine Erhebung durch Straßen.NRW aus dem Jahr 2015 hat ergeben, dass der Landesstraßenetat um 70% aufzustocken ist, um bei den Landstraßen langfristig den baulichen Zustand des Jahres 2011 wieder zu erreichen. Der investive Nachholbedarf wird auf ungefähr 550 Mio. Euro durch die Straßenverwaltung geschätzt. Diese Zahlen berücksichtigen nicht die durchaus realistischen und seriösen Prognosen, die von einer weiteren Zunahme im Lkw-Verkehrsaufkommen ausgehen, und damit kürzere Wartungsintervalle mit zusätzlichem Reparaturbedarf und kürzere Abschreibungszeiträume bedingen werden.

Das Baugewerbe lehnt ÖPP-Projekte ab, da sie den Mittelstand weitgehend ausgrenzen und teuer sind. Wie glaubwürdig ist das Statement der Düsseldorfer Regierungskoalition zu „mittelstandsfreundlichen ÖPP-Modellen“ und was muss man sich darunter vorstellen?

Selzer: Wenn die Düsseldorfer Regierungskoalition von mittelstandsfreundlichen ÖPP-Modellen spricht, gilt es zunächst zu klären, wer angesprochen werden soll. Momentan ist die Situation eigentlich die, dass die großen Bauaktiengesellschaften ausschließlich mit ÖPP-Projekten beauftragt werden. Vorzugsweise schließen sich mehrere Konzerne zu Arbeitsgemeinschaften zusammen, mit der Folge, dass der Wettbewerb deutlich eingeschränkt wird. Wir fordern die neue Landesregierung auf ihre Definition von Mittelstand mitzuteilen.

Um die Baukosten und den Betrieb vorzufinanzieren müssen die ARGEn auch Bank- oder Versicherungsinstitute in die Maßnahmen einbeziehen. Hier zeigt die Erfahrung, dass den Mittelständlern nicht gleichgünstige Konditionen wie den Konzernen geboten werden.

E ist auch keine Frage des technischen Know-hows, vielmehr eine Frage des Selbstverständnisses der zumeist inhabergeführten Unternehmen. Diese wollen bzw. dürfen keine Risiken mit Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten in ihre Bilanzen holen.

Ich habe die Aussagen des Verkehrsministers so verstanden, dass es kleinere Losgrößen sein werden, die die Beteiligung an ÖPP-Projekten für den Mittelstand interessant machen sollen. Ob dies allein schon ausreicht oder noch weitere Aspekte wie beispielsweise kürzere Projektlaufzeiten oder öffentliche Rückbürgschaften eine Rolle spielen, wird zurzeit mit einer Befragung unter den Straßen- und Tiefbauunternehmen ergründet.

Mangelnde Planungs- und Genehmigungskapazitäten der öffentlichen Hand bremsen nicht nur in NRW die Baubranche. Hat Minister Wüst dafür Lösungen aufgezeigt?

Selzer: Die begrenzten Planungs- und Genehmigungskapazitäten der öffentlichen Hand zeichnen sich schon seit vielen Jahren ab und gehen einher mit einem steten Personalabbau. Eine Wende hat im Jahr 2013 eingesetzt. Es wurden zusätzliche Fachleute eingestellt, und diese Personalpolitik soll sich auch unter der neuen Landesregierung fortsetzen.

Inwieweit Personalakquisition im Umfeld der ebenfalls wachsenden Bauwirtschaft erfolgreich sein kann, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird vom Verkehrsministerium auch an die Übertragung von Planungsleistungen an externe Ingenieurbüros gedacht.

Zurzeit wird über den sichtbaren Teil der Infrastruktur leidenschaftlich diskutiert. Kommt dabei die gewaltige Aufgabe, die in großen Teilen marode unterirdische Infrastruktur zu sanieren, zu kurz?

Selzer: Ich glaube, es wird genauso interessiert über die marode unterirdische Infrastruktur diskutiert, denken Sie nur an das Thema Kanalsanierung oder den Ausbau der Kommunikationsnetze. Die Bürger sind hier besonders interessiert aus Umweltschutzgründen und weil sie oftmals selbst Eigentümer von Hausanschlüssen sind. Oder aber sie müssen feststellen, dass ihre Telefonleitungen und Internetanschlüsse viel zu langsam sind für die heutigen Kommunikationsstandards.

Auch hier müssen erhebliche investive Schritte vorgenommen werden, allerdings ist die Finanzierung z.B. durch anzupassende Gebühren einfacher als Straßenbau.

Haben Sie mit Herrn Wüst über die „wiederkehrenden Straßenbaubeiträge gesprochen?

Selzer: Leider ergab sich aus zeitlichen Gründen nicht mehr die Gelegenheit, auch das Thema „wiederkehrende Straßenbaubeiträge“ anzusprechen. Sicherlich werden wir dies nachholen, und ich bin gespannt, ob Minister Wüst diese Art der Finanzierung von Straßenbaumaßnahmen genauso interessiert aufnimmt wie sein Vorgänger.

Welche Vorteile sehen Sie bei dieser Initiative für den Straßenbau, Ihre Mitgliedsbetriebe und die Anlieger?

Selzer: Nach wie vor sehe ich in dieser Art der Finanzierung im kommunalen Bereich nur Vorteile – und zwar für alle Beteiligten. Die Anlieger profitieren von verstetigten dafür aber niedrigen sowie überraschungsfreien Abgaben, die den Kommunen für einen ständigen kontinuierlichen Straßenbau zur Verfügung stehen.

Auch die Mitgliedsbetriebe profitieren von einem perspektivisch gleichbleibenden Nachfragevolumen.

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