Direkt zum Inhalt
Archiv 10. Februar 2016

Die Straßen von Mumbai

Gebaut aus Asphalt oder Beton - und doch so anders. Die Straße in Indien erfüllt einen ganz anderen Zweck als bei uns. SUSA-Chefredakteurin Ute Schroeter war auf den Straßen Mumbais unterwegs und hat sich das neue Reifenwerk der Firma BKT angesehen.

Auf den Straen Mumbais kehrt niemals Ruhe ein.
Auf den Straen Mumbais kehrt niemals Ruhe ein.

Nie war die Luft so klar, der Verkehr so ruhig und die Ordnung so ordentlich. Nach einer viertägigen Reise nach Indien ins smoggeschwängerte Mumbai zurück im kühlen Deutschland, kann man nicht anders, als die Sonne gelber als sonst, die Busse leer und ein Hupen leise zu finden. In Mumbai taucht das Blau des Himmels in eine milchige Soße ein, gegen die auch das Rot der Abendsonne nur schwer ankommt. Der ständige Lärm lähmt die Sinne und lässt einen auf die Frage „Warum hupen die eigentlich die ganze Zeit?“ keine Antwort finden.

Khe sind Teil des Straenlebens in Indien.Foto: Foto: Ute Schroeter

Auch die Nacht vermag die Straße kaum zu beruhigen. Der wummernde Beat von bombastischen Hochzeitsfeiern und das Getrappel von Pferdekutschen, die geschmückt sind, als wolle jemand den zur Vorweihnachtszeit bunt-blinkenden Berliner Wedding in Miniaturformat spazieren führen, verstummen keine Sekunde. Und mittendrin, im Schatten von Schildern und einsamen Bäumen, den Kopf gebettet auf Asphalt, schlummern vereinzelt Kinder und Erwachsene – so, als wäre eine Verkehrsinsel der sicherste Platz der Welt.

Ein Lcheln fr die Touristen.Foto: Foto: Ute Schroeter

Anzeige

Die Straße in Deutschland ist ein Mittel zum Zweck – ein Bauwerk, um von A nach B zu kommen. In Indien dient sie als Treffpunkt, Schlafplatz, Wohnzimmer, als Ort zum Arbeiten, Betteln, Handeln, Beten, Kühe hüten und ganz nebenbei: um sich fortzubewegen. Auf eben jenen Straßen hat der indische Reifenhersteller BKT eine Sightseeing-Tour für seine Gäste organisiert. Wenige Stunden zuvor waren rund einhundert Fachjournalisten aus aller Welt am Flughafen in Mumbai angekommen, dort von einer Unternehmensdelegation begrüßt und mit Perlenketten ausstaffiert zum Hotel geleitet worden, in das nur ein homöopathischer Teil der indischen Bevölkerung aufgrund ausreichender finanzieller Mittel einen Fuß setzen kann.

Kche auf der Strae in einem gehobenen Viertel Mumbais.Foto: Foto: Ute Schroeter

Nun sitzt die leicht übermüdete Gruppe auf ihren Plätzen und lauscht den Worten der einheimischen Fremdenführerin, die das indische Leben jenseits des kühlen Reisebusses wie eine lustige, nie enden wollende Party zu verkaufen versucht. „Wenn wir niemanden auf der Straße sehen, bekommen wir Angst“, sagt sie. So gesehen muss der Grund für die schlafenden Verkehrsinsel-Bewohner kaum Obdachlosigkeit, mehr ein Entfliehen der Einsamkeit sein. Oder haben die nur den Bus verpasst? Die Unberührbaren – Menschen der untersten Kaste, die nicht ohne Grund so genannt werden und die von Jobs leben, die keiner machen will – seien mit ihrem Schicksal durchweg zufrieden. Und die bösen Bilder über Indien seien doch nur dummes Geschwätz der Medien. Ein Raunen geht durch die Reihen derer, die die soeben Gescholtenen vertreten. So, so – die Medien.

Smog taucht Mumbais Himmel in eine milchige Soe aus Smog.Foto: Foto: Ute Schroeter

Der Bus rauscht an unordentlichen Häuserreihen vorbei. Die oberen Etagen sehen nicht aus, als könnte jemand darin wohnen. Offene Fenster und bestückte Wäscheleinen erzählen etwas anderes. Unten kauern kleine Läden dicht an dicht nebeneinander, wo es von der Handykarte bis zur marmornen Gottheit alles zu kaufen gibt. Supermärkte sucht man in Mumbai vergebens, auch Schnellrestaurants mit „M“ am Anfang gehören zu den Raritäten indischer Straßen. Es riecht nach verbranntem Holz, Kardamom, Ingwer und Curry, nur nicht nach Zigaretten. Die Inder, überwiegend Hindus, rauchen nicht und wenn doch, scheinen sie ihre Zigarettenstummel anderweitig zu entsorgen.

Der erste Stopp lässt auf eine Tasse Tee mit dem reichsten Mann Indiens hoffen. Leider ist Mukesh Ambani, durch Aktivitäten in der Petrolchemie zum Milliardär geworden, nicht zu Hause. Der Unternehmer besitzt das teuerste Einfamilienhaus der Welt. Es hört auf den Namen „Antilia“ und verfügt über diverse Hubschrauberlandeplätze, Fitnessräume, Wellnessoasen und ein Kino mit fünfzig Plätzen. Die fünfköpfige Familie Ambani könnte 37.000 m² bewohnen, jedes der drei Kinder hätte seine eigene Etage, wenn – ja, wenn sie denn mal daheim wären. Doch sie sind gar nicht erst eingezogen. Stattdessen hüten schätzungsweise 600 Angestellte den 27 Stockwerke hohen Betonkasten, der majestätisch über das Gedrängel der Straße hinwegsieht. „Neid kennen wir nicht“, lässt die Fremdenführerin wissen, „jeder hier gönnt Herrn Ambani seinen Reichtum.“

Als der Bus in Richtung Dhobi Ghat in der zähen (natürlich hupenden) Masse des Verkehrs stecken bleibt, inszenieren zwei Mädchen, zwischen zehn und zwölf Jahre alt, eine kleine Show für die ausländische Reisegesellschaft. Sie winken, lachen und stolzieren wie Heidi Klums Topmodels auf dem Laufsteg. Es ist mitten am Tag, in der Schule läuft der Unterricht ohne die beiden. Später stehen sie in erster Reihe am Bus, hinter ihnen die anderen, die Stadtpläne, Ringe und bunte Ketten feilbieten oder einfach nur die Hand aufhalten. Betteln sei mittlerweile ein lukratives Geschäft geworden, erklärt die Mikrofonstimme im Bus und erzählt die Geschichte eines Bettelkönigs, der dank seines Reichtums seine Söhne zum Medizinstudium schickte.

 

Im grten Waschsalon der Welt wird hart gearbeitet.Foto: Foto: Ute Schroeter

Dhobi Ghat ist der Name für den größten Waschplatz der Welt. Hier wird das Geld mit bloßen Händen verdient. Mehr als 5.000 Wäscher, ausschließlich Männer, bürsten, klopfen und wringen Hemden und Hosen, hängen Handtücher und Uniformen auf. 14 Stunden, jeden Tag. Die Frauen bügeln. Für die Wäscher kommen um die 10.000 Rupien im Monat zusammen, etwa 140 Euro. Umgerechnet vier Cent kostet die Reinigung eines Bettlakens, zwei Cent ein Kopfkissen. Zurück im Hotel fallen die trägen Glieder in reinliche Bettwäsche, die aber nicht in Dhobi Ghat gewaschen wurde. Das Hotel verfügt über eine hauseigene Wäscherei.

140 Euro umgerechnet verdient ein Arbeiter in Dhobi Ghat, dem Waschplatz von Mumbai. Der Lohn hngt von der Anzahl der bearbeiteten Wschestcke ab.Foto: Foto: Ute Schroeter

Die Nacht endet um vier Uhr früh. Die müden Knochen, die sich nach europäischer Zeit just in diesem Moment zur Ruhe gelegt hätten, rappeln sich aus dem Bett. Die Besichtigung des Reifenwerks von BKT steht auf dem Programm. Es liegt in Bhuj im Staat von Gujarat etwa hundert Kilometer von der Grenze nach Pakistan und etwa 60 km vom Hafen von Mundra am Arabischen Meer. Der eigens für diese Reise gecharterte Flieger hebt gegen halb sieben ab und landet eine gute Stunde später mitten in der Wüste. Am Straßenrand treiben Hirten ihr Vieh, Frauen waschen Wäsche in einem kleinen Tümpel. Mitten im Niemandsland erhebt sich plötzlich eine hochmoderne Produktionsanlage für Offroad-Reifen aller Art. Auf dem 126 ha großen Gelände trieb einst der Wind durch eine Handvoll dürrer Büsche. Es gab kein Wasser und keinen elektrischen Strom. Schließlich nahm BKT 500 Mio. US- Dollar für den Bau einer der modernsten Reifenwerke Indiens in die Hand. Ein Jahr nach Baubeginn im Jahr 2011 rollten die ersten Reifen Richtung Hafen, um auch nach Deutschland verschifft zu werden. In diesem Jahr soll die Anlage gänzlich fertig werden.

Mitten in der Wste: Das BKT-Reifenwerk in BhujFoto: Foto: Ute Schroeter

BKT-Chef Arvind Poddar blickt stolz auf sein Werk. Sein Unternehmen erweist sich als äußerst umsichtiger Gastgeber. Nichts wird dem Zufall überlassen. Die Gäste tragen T-Shirts mit BKT-Logo, Fahnen mit ebensolchem Emblem flattern im Wind. Die Willkommenszeremonie auf dem Werksgelände gleicht einem Staatsempfang: Auf rotem Teppich geht’s zum Lunch, eine uniformierte Kapelle lässt schottisch anmutende Töne erklingen. Vom Elektrofahrzeug aus erkunden die Besucher die Außenanlagen des BKT-Werks, auf denen sich auch eine kleine Stadt mit 406 Wohneinheiten befindet. Noch steht sie leer, später aber sollen hier Mitarbeiter mit ihren Familien wohnen. Dafür wurden extra Einkaufsmöglichkeiten und Grünflächen geschaffen und ein Freizeitzentrum, eine Arztpraxis sowie eine Feuerwehrstation gebaut.

Im Werk selber herrscht striktes Fotoverbot. Im Stechschritt geht es durch die nach Gummi riechenden Hallen. Einzelne Maschinen „made in Germany“ tragen dazu bei, täglich 150 t Reifen verschiedenster Größen und Einsatzgebiete zu fertigen. „Schütze deine Hände, du brauchst sie, um deinen Lohn einzustecken.“ Diese und ähnliche Appelle an die Belegschaft (oder doch an die ausländischen Gäste?) prangen in großen Lettern über jedem Halleneingang. Es scheint BKT sehr wichtig zu sein, die Botschaft „Schaut her – wir bewahren unsere Mitarbeiter vor Feuer und Verletzungen“ unters Journalistenvolk zu streuen. Anders ist die ausführliche Demonstration einer Feuerschutzübung nach der Werksführung nicht zu erklären.

Die Pressekonferenz findet am nächsten und letzten Tag im Hotel statt. Mit einer Anspielung auf das Schachspiel erklärt Arvind Poddar: „Ein charakteristisches Merkmal unterscheidet den wahren Meister von einem gewöhnlichen Spieler.“ Mit der neuen Produktionsanlage Bhuj sei das Unternehmen nun bereit, das Spiel zu verändern und sich auf dem globalen Schachbrett zu präsentieren. Rajiv Poddar, Sohn von Vorstandschef Arvind Poddar, erläutert die strategische Ausrichtung der Firma. Innerhalb der nächsten vier Jahre wolle man die Mining-Sparte ausbauen und ähnlich stark werden wie im Landwirtschaftssektor. In Sachen Qualität sehe man sich im Mittelfeld, könne europäische Hersteller zwar noch nicht toppen, „chinesische Produkte aber auf jeden Fall.“

Eine kurze, aber vor neuen Bildern und Eindrücken nur so strotzende Reise geht zu Ende. Kühle, klare Luft schlägt sich am Münchener Flughafen auf den Brillengläsern der Rückkehrer nieder – Luft, so klar wie nie zuvor. (Ute Schroeter)

Passend zu diesem Artikel

Die TireTech-App von Continental verfügt nun über eine Reifenfülldruck-Kalkulator
Conti updatet TireTech-App

Continental erweitert die digitale Reifenmanagementlösung TireTech um zahlreiche Funktionen. Das Update beinhaltet unter anderem Reifendiagnostik, einen Reifenfülldruck-Kalkulator, und Empfehlungen für Winterreifen.