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Personal 25. Juni 2019

Mit Frauenpower gegen Fachkräftemangel

Frauen gelten schon lange als Geheimtipp gegen den Fachkräftemangel. Nur - wie lässt sich die holde Weiblichkeit für Technik begeistern?

Inhaltsverzeichnis

Mixed-Teams gelten in der Wirtschaft als Erfolgsgarant, und Frauen in technischen Berufen sind schon seit Jahrzehnten gern gesehene Teammitglieder. Doch wie begeistert man Frauen für technische Berufe? Das Unternehmen Atlas Copco setzt auf den Girls´Day, den es aus guten Gründen so jedoch nicht nennt. Eine Gruppe von 18 Teenagern nahm Ende April an einem solchen Infotag zur beruflichen Ausbildung in der Zentrale von Atlas Copco in Essen teil, organisiert von den „alten Hasen“, den Auszubildenden bei Atlas Copco. „Bis zum vergangenen Jahr hieß unser Info- und Mitmachtag noch Girls‘ Day, doch das fanden wir nicht mehr zeitgemäß“, sagt Elias Goronczy, Auszubildender im zweiten Lehrjahr. „Weil die Veranstaltung inzwischen auch zu einem Boys‘ Day geworden ist, sprechen wir ab diesem Jahr vom Zukunftstag.“

 

Interesse an technischen Berufen wecken

Die Azubis gaben sich große Mühe, um ein buntes Programm zur beruflichen Orientierung auf die Beine zu stellen. Die Kinder und Jugendlichen konnten in der Kompressorenwerkstatt selbst ausprobieren, wie man beispielsweise einen Schaltkreis verdrahtet. Auch im Beruf geht es manchmal zu wie in der Schule. Daher mussten die Schülerinnen und Schüler in einem Praxisversuch das richtige Drehmoment für eine Schraubverbindung herausfinden. Ob alle bestanden haben, konnte nicht ermittelt werden, davon ist jedoch auszugehen. Die Montage eines 9,5-Liter-Lkw-Motors mithilfe eines computergesteuerten Schraubsystems sei für viele das Highlight des Tages gewesen, berichtet das Unternehmen. Hier zeigte sich, wie anspruchsvoll und abwechslungsreich technische Berufe sind und was zum Beispiel ein Mechatroniker alles drauf haben muss.

 

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Technikprogramm kam gut an

Die Mädchen und Jungen der Klassen 6 bis 9 kamen aus Essen und den umliegenden Städten. Unter ihnen waren auch einige Töchter und Söhne von Atlas-Copco-Mitarbeitern. „Für sie war es besonders interessant zu sehen, was ihre Eltern auf der Arbeit wirklich tun“, berichtet Elias Goronczy, der hofft, den einen oder anderen bald als Azubi, Student oder Studentin eines dualen Studiums oder als Kollege bzw. Kollegin wieder zu sehen.

 

Über die Familie zum Beruf

Auch Steine- und Erdenbetriebe bestätigen es immer wieder: Viele Fachkräfte und Mitarbeiter kommen über Mund-zu-Mund-Propaganda zu den Unternehmen, oft über die Familie. Auch Lisa Schaber hat sich bei ihrer Berufswahl von ihren Eltern inspirieren lassen: Sie verlegt Pflastersteine und Platten, befestigt einen Hang mit Beton, erlernt den Umgang mit Baggern, Radladern und Lasermessgeräten. Kurzum: Lisa Schaber wird Straßenbauerin. Dazu absolviert sie gerade eine Ausbildung im Unternehmen ihrer Eltern, der Schaber Baugesellschaft mbH, Karlsruhe. „Obwohl ich im Familienbetrieb aufgewachsen bin, bedeutet die Ausbildung für mich in vieler Hinsicht Neuland“, erzählt die 26-jährige Frau aus Pfinztal. Als Vorteil des Straßenbauerberufs sieht sie das sehr vielseitige Aufgabengebiet. Für ihren Betrieb, der fünfzehn Mitarbeiter beschäftigt, ist sie beim Anlegen von Wegen und Zufahrten, beim Bau von Treppenanlagen, Terrassen und Garagen oder bei der Gestaltung von Höfen und Gärten im Einsatz.

 

Begeisterung für Technik

Begeistert ist die angehende Straßenbauerin von der Arbeit mit den vielfältigen Maschinen und technischen Hilfsmitteln, die auf heutigen Baustellen nicht mehr wegzudenken sind. Ob Lasermessinstrumente, Bagger oder Radlader – die Bedienung verlangt Fachwissen und Kompetenz. Bei großen Baumaschinen sind zudem Verantwortungsbewusstsein und Kenntnisse zur Unfallverhütung gefordert, die in speziellen Sicherheitsschulungen erworben werden. Schaber ist stolz darauf, in diesem traditionell von Männern geprägten Arbeitsfeld erfolgreich zu sein und hat sich durch ihren Einsatz den Respekt der Belegschaft gesichert. „Bei körperlich anstrengenden Arbeiten merke ich schon den Unterschied zu den männlichen Kollegen – da kommt man als Frau eher an seine Grenzen“, bemerkt sie. Doch sie hat die Erfahrung gemacht, dass eine Frau aufgrund der modernen Technik und bei sinnvoller Arbeitsaufteilung ohne Probleme den Straßenbauerberuf ausüben kann.

 

Als sehr motivierend empfindet sie es immer wieder, dass sie die Ergebnisse ihrer Arbeit konkret sehen kann. „Daran habe ich mitgebaut“ – dieser Gedanke geht ihr häufig durch den Kopf, wenn sie an fertiggestellten Bauwerken vorbeikommt. Dass sie meistens im Freien arbeitet und dabei Wind und Wetter ausgesetzt ist, macht ihr nichts aus. In Phasen mit extremen Witterungsverhältnissen erlauben es die Winterbauregelung und die in der Bauwirtschaft geltenden Arbeitszeitflexibilisierungsmöglichkeiten, die Baustellenaktivitäten für einige Tage zu unterbrechen. Zunächst hatte sie nach ihrem Realschulabschluss – trotz der Prägung durch den elterlichen Betrieb – beruflich eine andere Richtung eingeschlagen. Von 2009 bis 2012 absolvierte sie eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau bei einem Baustoffhändler. Während der nachfolgenden vierjährigen Berufstätigkeit erwarb sie darüber hinaus bei der IHK die Qualifikation als Handelsfachwirtin. Doch schon bald entstand in ihr der Wunsch nach Veränderung. Ihr schon in der Jugend verspürtes Interesse an einer Tätigkeit am Bau erwachte von neuem, und sie beschloss, im Familienunternehmen in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Im September 2016 begann sie ihre Ausbildung als Straßenbauerin. Ihre kaufmännische Qualifikation eröffnet ihr dabei die Möglichkeit, ihre Lehrzeit auf zwei Jahre zu verkürzen.

 

Hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft hat Schaber konkrete Pläne. Im Anschluss an ihre Gesellenprüfung im Sommer 2018 möchte sie im elterlichen Unternehmen ihre Berufserfahrung vertiefen. Ergänzend erwägt sie eine Fortbildung zur Technikerin oder Meisterin. Später will sie dann den Familienbetrieb in der dritten Generation weiterführen. Alternativ stehen ihr viele andere Karrierewege offen. Denn für engagierte Fach- und Führungskräfte bestehen in der Bauwirtschaft ausgezeichnete Entwicklungs- und Aufstiegschancen.

 

Mit starker Taktik zu mehr Frauenpower

Wenn Not am Mann ist, besinnt man(n) sich der Frauen. So ist es auch beim Thema Fachkräftemangel. Weibliche Hände, die Schweißgerät und Bagger führen, sind auch in der Steine- und Erdenindustrie willkommen. Höhere Löhne und die Aussicht auf Führungspositionen scheinen der Damenwelt jedoch wenig Antrieb zu verleihen, die Festung Steinbruch und Kieswerk zu erobern. Seit Jahren liegt an den Berufsschulen in Wiesau, Erfurt und Moers der Anteil weiblicher Auszubildender bei Null und das obwohl immer mehr Unternehmen Girls´ Days veranstalten. Einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zufolge scheint die Mühe auch in anderen technischen Bereichen zu verpuffen. Immer noch arbeiten rund 60 % der Frauen in Frauendomänen, also in Berufen mit einem Frauenanteil von mindestens 70 %. Der Frauenanteil in Produktionsberufen (Agrarberufe, verarbeitende Berufe, Technik, Ingenieurwesen) liegt dagegen seit 35 Jahren gleichbleibend bei knapp 20 %, ist über die Zeit sogar noch leicht gesunken. Bleibt also doch nur die Kapitulation? Wollen die Damen einfach nicht? Tatsächlich ist bei diesem Feldzug eine kluge Taktik gefragt, die leider noch niemand erfunden hat. Somit kann es einem leicht ergehen, wie der Bundeswehr, die mal mit einer gut gemeinten Frauenkampagne auf die falsche Fährte geriet. Die Werbeplakate zeigte die Zielgruppe in frauentypischen Situationen, sprich vor dem Kleiderschrank, im Schuhgeschäft, als Mutter mit Kindern. Auf allen Fotos waren dezent Bundeswehrutensilien wie Feldkleidung oder Uniform eingearbeitet, wohl um zu suggerieren: „Mädels, in diesem Job könnt ihr ganz ihr selbst sein.“ Der Vorwurf, man würde die holde Weiblichkeit auf Kinder und Mode reduzieren, ist nicht das Problem. Frauen tragen nun mal Röcke, Make-up und Pumps – tja, und manche haben sogar Kinder. Die Kampagne war deswegen daneben, weil sie verwirrt. Frau muss sich fragen: Worum geht´s hier eigentlich? Um ein Freizeitangebot? Oder suchen die bei der Bundeswehr eine neue Schuhverkäuferin oder Erzieherin für den Wehrkindergarten? Erst auf den zweiten Blick wird klar: Ach, die wollen ja weibliches Gardemaß für die Kampfjets, fürs Kommando, für die Waffe. Frauen, die tatsächlich für einen solchen Job infrage kämen, haben da schon längst weggeschaut, einfach weil sie einen Kleiderschrank ihrem Alltag zuordnen und nicht mit einem Beruf verbinden.

 

Richtige Signale setzen

Die große Frage bleibt: Welcher Typ Frau wählt einen männlichen Beruf, wie einen in der Steine- und Erdenindustrie, wo neben Köpfchen auch Muskeln gefragt sind? Im Grunde ist es ganz einfach und doch wieder schwer. Es sind Frauen, die noch in der Berufsfindungsphase stecken, die aber schon ganz genau wissen, dass es kein klassischer Frauenjob sein soll! Diese Gruppe möchte eben nicht Sekretärin oder Krankenschwester werden. Ihr Beruf soll anders sein, sich deutlich vom Privatleben unterscheiden. Zugegeben – diese Gruppe ist (noch) klein und schwer zu identifizieren. Vom Typ her sind diese Frauen nicht zwingend burschikos - meist sogar sehr weiblich, erfüllen Klischees wie Schuhtick, Dekowahn und Fürsorglichkeit. Was diese Gruppe eint, ist oft ein großes Unabhängigkeitsbedürfnis. Auf gute Verdienstmöglichkeiten springen diese Frauen eher an als ihre Geschlechtsgenossinnen. Weiteres Merkmal ist ein hohes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten – nach dem Motto: „Was ich nicht kann, das werde ich schon lernen.“ Die Steine- und Erdenindustrie ist gut beraten, sich auf diese Gruppe zu konzentrieren und ihnen das Angebot eines nicht alltäglichen Jobs zu machen, anstatt wahllos alle weiblichen Personen anzupeilen, die zufälligerweise morgens vorm Kleiderschrank stehen.

Es bleibt ein hartes Stück Arbeit, Frauen für technische Berufe zu gewinnen. Es ist bekanntermaßen wie im wahren Leben: Da findet Mann ja auch nicht immer gleich die Richtige und muss auf den entscheidenden Augenblick warten. Ute Schroeter/Volker Müller

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