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Archiv 22. Februar 2013

Keine Frage und viele Steine

Am 10. Dezember ehrte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Dr. Kristina Schröder die besten deutschen Auszubildenden des Jahrgangs. Darunter war auch ein Baustoffprüfer. Johannes Klauke lernte am Karlsruher Institut für Straßen- und Eisenbahnwesen des Karlsruher Instituts für Technologie, das von Prof. Dr.-Ing. Ralf Roos geleitet wird. Und er ist bekennender Punk.

Gibt es auch nicht alle Tage: Familienministerin Dr. Kristina Schrder mit Punk ? bei der Ehrung am 12. Dezember 2012 in Berlin.
Gibt es auch nicht alle Tage: Familienministerin Dr. Kristina Schrder mit Punk ? bei der Ehrung am 12. Dezember 2012 in Berlin.
Der strahlende Bundessieger und damit der beste Auszubildende Baustoffprfer 2012 im Labor des KIT: Johannes Klauke.Foto: Foto: Maike Sutor-Fiedler

Das sieht man von weitem. Knallrot trägt er seinen Irokesenschnitt, der über 25 cm in die Höhe ragt, ohne jedoch die typischen „Spikes“ aufzuweisen. Der Rest drumherum ist kurz geschoren. Ich möchte nicht wissen, wie viel Haarspray, Lack und Festiger in diesem Irokesenschnitt stecken. Oder doch?

Es lief bei weitem nicht alles glatt im Leben des Johannes Klauke, der 1981 in Karlsruhe geboren wurde. Nicht alles hatte mit seinem Lebensstiel, dieser Jugendkultur mit ihren provozierenden Äußerlichkeiten, der man rebellische Haltungen und nichtkonformes Verhalten nachsagt, zu tun. Auf all seinen Stationen wurden Potenziale deutlich, die diesen jungen Mann ausmachen. Beispielsweise Zielstrebigkeit und die Fähigkeit sich Wissen anzueignen. Zumindest potenziell.

Johannes Klauke

Johannes Klauke

Johannes Klauke hat sich fr die Fachrichtung Asphalttechnik entschieden, daneben sind auch noch die Schwerpunkte Geotechnik oder Mrtel- und Betontechnik mglich.Foto: Foto: Maike Sutor-Fiedler

Denn nach der Grundschule ging Johannes Klauke aufs Gymnasium. Um aber nach vier Jahren einer zweiten Wiederholerrunde zu entgehen, wechselte er auf eine Realschule, machte dort den Abschluss und plante seinen Zivildienst. Vorab betreute er schon mal Schwerstbehinderte. Da er für den Wehrdienst für untauglich befunden wurde, war er auch untauglich für den Ersatzdienst. Was ihn aber nicht hinderte, trotzdem ein ganzes Jahr bei der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung in Karlsruhe zu arbeiten. Warum? Das war halt so geplant.

Mit dem darauf folgenden halbjährigen Praktikum bei einem Steinmetz erhoffte er sich Zugang zu einer Lehrstelle. Es erging ihm wie anderen Punks auch. Eine Lehrstelle? Sie? Doch der Plan ging auf, Johannes Klauke vollendete die Ausbildung, allerdings nicht mit einem rosigen Ergebnis. Irgendwie ist ihm die Zielstrebigkeit abhanden gekommen. Er habe, so sagt er heute selbst, viel zu früh den Gang raus genommen. Als Steinmetz hat er dann auch gearbeitet. Zwei Sommersaisons. Im Winter gab’s nichts zu tun. Aus der zweiten Winterarbeitslosigkeit kam er dann auch nicht mehr heraus. So blieb Zeit für offene Fragen: Wie sahen frühere Pläne aus, welche Wege habe ich genommen und warum haben sie nicht dahin geführt, wo ich hin wollte? Zu deren Beantwortung holte Johannes Klauke das Abitur nach. An der Carl-Engler-Schule, eine Technische Oberschule im Südwesten von Karlsruhe, bei der man zahlreiche technische Berufe erlernen kann oder eben die Fachhochschulreife bzw. das Abitur ablegt.

Anschließend führte ihn sein Weg wieder zu den Steinen zurück. Er studierte angewandte Geowissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem Zusammenschluss des Forschungszentrums Karlsruhe und der Universität Karlsruhe. Doch schon im ersten Semester merkte er, dass ihm das Fach nicht liegen wird. Im zweiten hatte er bereits innerlich abgeschaltet. Wie gut, dass sich parallel eine Alternative auftat. Auch hier ging es wieder um Steine. Als „Hiwi“ verbrachte er so manche Stunden im Straßenbaulaboratorium des Instituts für Straßen- und Eisenbahnwesen (ISE) am KIT. Nachdem er das Studium ad acta gelegt hatte, wurde er hier Aushilfskraft. Nicht ohne zuvor, so sagt Labortechniker Fred Kräker, ausgiebig probegearbeitet zu haben. Dass Misstrauen, so Kräker ganz ohne zu beschönigen, hatte einmal mehr mit der Frisur und dem Drumherum zu tun.

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Johannes Klauke

Johannes Klauke

Ein Zusammenspiel von Kraft und Feingefhl ist beim Ausmessen von geschnittenen Bohrkernen gefragt.Foto: Foto: Maike Sutor-Fiedler

Klauke trägt am Tag als ich ihn treffe Turnschuhe und Jeans, links zwei Ohrringe, rechts vier, Tätowierungen gibt es auch. An seiner karierten Jacke steckt ein Button auf dem „Arbeit ist Scheiße“ steht. Das T-Shirt darunter ziert das elfte Album „Perfume and Piss“ der englischen Punkband GBH – Grievous Bodily Harm, was mit „schwere Körperverletzung“ übersetzt wird. Die reinste Provokation in Person möchte man sagen.

Nein, seine Lieblingsband ist GBH nicht. Er hat auch keine, sondern hört Punk querbeet. Und wie bei anderen auch, änderte sich sein Musikgeschmack im Laufe der Zeit. Geblieben ist, auf Konzerte zu gehen, wobei er die kleineren bevorzugt. Bei denen die Band froh ist, die Spritkosten wieder reinzuholen. Der Song „Perfume and Piss“ (auf youtube gefunden) ist gar nicht so schlecht. Mut zum Dilettantismus, den man der Punkmusik gelegentlich euphemistisch nachsagt, ist das nicht. Genauso wenig wie die heutigen Songs von den „Toten Hosen“ oder den „Ärzten“, die ihre Wurzeln ebenso in dieser Szene hatten (und die heute nicht mehr dazuzählen). Punk ist eben nicht gleich Punk.

Nicht jeder der so aussieht, lebt nach dem Motto „Bier und Hartz IV“, auch wenn das diejenigen sind, mit denen die meisten Mitmenschen in Berührung kommen. Am Bahnhof oder an zentralen Plätzen. Die respektlose, resignierte bis aggressive Haltung gegenüber der Gesellschaft aus den Anfangsjahren der Punkerszene ist vielschichtiger geworden. Das Engagement gegen Chancenungleichheit und gegen Rechts ist geblieben. Das nehmen die wenigsten zur Kenntnis und ist genau genommen für unsere Gesellschaft nicht unwichtig. In den politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre, wie der Ausstieg aus der Atomkraft oder Stuttgart 21, erinnerte sich das „Establishment“ nicht ohne Stolz an die Auseinandersetzungen um Wackersdorf, die Startbahn West und die Anti-AKW-Bewegung. Das waren auch die Wurzeln der ersten deutschen Punkbands. Besetzte Häuser und autonome Zentren, die damals in fast jeder größeren Stadt entstanden, boten ihnen die Möglichkeiten, aufzutreten.

In einem solchen autonomen Zentrum hat auch Johannes Klauke gelebt nachdem er seinen Realschulabschluss in der Tasche hatte. Da trug er schon seit fünf Jahren seinen „Iro“ und war gerade 17. Seine Eltern hatten ihm immer zugetraut, dass er seinen Weg gehen wird. Und sich selbst zu verwirklichen, das will doch jeder. In der „Ex-Steffi“, einem sozialen Zentrum in Karlsruhe, indem man unkommerziell aber politisch motiviert lebte, gehörte ein Großteil der Punks zu denjenigen, die einen Plan von ihrem Leben hatten und auch umsetzten, einschließlich „ernsthafter Studenten“, so Klauke.

Johannes Klauke

Johannes Klauke

Dem exakten Vermessen in der Hhe ...Foto: Foto: Maike Sutor-Fiedler

Ernsthaft ging auch Klauke seine Arbeit im Straßenbaulabor am KIT an. Hilfe zum Einstieg war sicherlich auch seine Mutter, die auch im Team der Baustoffprüfer zu finden ist. Klauke überzeugte allerdings derart, dass Labortechniker Fred Kräker in ihm seinen ersten Auszubildenden fand und die Herausforderung auf sich nahm, sich auf die Aufgaben eines Ausbilders vorzubereiten. Innerhalb eines halben Jahres. Zweimal erhielt Klauke also einen Halbjahresvertrag am KIT. Ohne die Zusicherung, eine Ausbildung als Baustoffprüfer zu beginnen, hätte es den zweiten Vertrag nicht gegeben. Am ISE fühlte sich Klauke gut aufgenommen, das generelle „Du“ vereinfacht das Zusammenarbeiten.

Klauke fand es „toll, hier zu lernen“. Denn durch die Vielzahl an Mitarbeitern konnte er sich die Tätigkeit von unterschiedlichen Personen zeigen lassen und dann den eigenen Arbeitsstil entwickeln. Probekörper für Bitumen zu gießen, ist eben nicht so einfach. Ordentlich und richtig zu arbeiten, darauf legt Klauke immer Wert. Und da dies auch die Maxime des KIT und allen voran des Ausbilders und Laborleiters Fred Kräker ist, gedieh die Zusammenarbeit und gipfelte in einer Übernahme.

Johannes Klauke begrüßt zudem, dass immer genügend Zeit blieb, sich mit den Normen intensiv zu beschäftigen, sich selbst damit zu befassen, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, worauf es bei den jeweiligen Versuchen ankommt. Die Arbeit am KIT lernte er besonders zu schätzen, nachdem er ein Praktikum in einem Asphaltmischwerk absolvierte. Die Arbeit hier war bei Weitem nicht so abwechslungsreich. „Immer nur Siebe zu schwenken, ist eben keine Herausforderung.“ Hinzu kam der Zeitdruck, unter dem gearbeitet werden musste. Besonders als Auszubildender ist man nicht so schnell wie andere.

Die Hand als Hauptwerkzeug, die manchmal feinen filigrane Arbeit erledigen muss und dabei hochkonzentriert zu sein, also den Geist anstrengen zu müssen, flexibel einsetzbar zu sein und deshalb öfter mal „Umschalten“ zu müssen, weil man mit Asphalt, Bitumen, Gestein oder Recyclingmaterial zu tun hat – das ist das, was Johannes Klauke am Beruf Baustoffprüfer begeistert. Er hat seinen Platz zur Selbstverwirklichung gefunden. Es hat halt nur eine Weile gedauert, bis er die richtigen Bausteine gefunden hatte.

Durch die Ausstattung des Instituts für Straßenbau des KIT konnte bereits ein weites Feld der Ausbildung abgedeckt werden. 40 Versuche musste man zur Prüfung schon komplett beherrschen. Die Ausbilder am KIT waren jedoch auch darauf bedacht, dass sich die Auszubildenden mit denen in den anderen Instituten austauschen. Sie zeigten sich gegenseitig, wie bestimmte Versuche durchgeführt werden. Bei der Lage von drei Instituten in einem Umkreis von einem Kilometer, war das kein Problem. Unter den anderen Berufsschülern, die Baustoffprüfer lernten, waren wenige, die noch andere Arbeitsplätze als die im Ausbildungsbetrieb gesehen hatten.

Die theoretische Ausbildung, bei der nicht alle Versuche Bestandteil waren, erfolgte in einer Berufsschule im 400 km entfernten Selb. Das bedeutete sieben Stunden mit der Bahn, wenn die Anschlüsse denn klappten. Die Berufsschulzeit verstand Klauke aber nicht als Zeit zum absitzen, sondern als „halbe Miete“. Mitzuarbeiten, aufmerksam zu sein, erleichterte die Vorbereitung auf die Prüfung ungemein.

Aufgrund seiner Vorbildung, hätte Klauke seine Ausbildung auch in anderthalb Jahren abschließen können. Doch man einigte sich auf eine Verkürzung nur um ein halbes Jahr. Der Grund: Es wurde am Institut für Straßenbau eine weitere Stelle für einen Baustoffprüfer geschaffen. Und warum sollte man da nicht auf jemanden zurückgreifen, den man kennt. Jemanden, von dem Fred Kräker sagt, dass ihn beeindruckt hat, wie zuverlässig und gewissenhaft er arbeitet. Dass er noch mal nachliest, wenn die letzte Durchführung eines Versuches schon ein wenig zurückliegt.

Johannes Klauke

Johannes Klauke

... folgt gleiches in der Breite und die Dokumentation.Foto: Foto: Maike Sutor-Fiedler

Das „eigentlich überflüssige“ letzte halbe Jahr seiner Ausbildung nutzte Johannes Klauke, um das zu tun, was er bei der Ausbildung zum Steinmetz versäumt hatte: Bis zum Ende durchzuhalten und weiter am Ball zu bleiben. Auch wenn ihm, so gibt er zu, dass unangeleitet Lernen schwer fällt.

Der Notendurchschnitt in der Berufsschule gab ihm die Gewissheit, dass er die Theorieprüfung gut bestehen wird. Über die praktische Prüfung hat er sich weniger Gedanken gemacht. Er spürte, dass er die Versuche beherrscht. Schon in der Zwischenprüfung zeigten sich die Prüfer beeindruckt. Dennoch war die praktische Prüfung nicht ohne. Innerhalb von sieben Stunden waren mehrere Versuche durchzuführen. Wann welcher Versuch drankam, blieb jedem Prüfling selbst überlassen. Da galt es, sich die Zeit auch richtig einzuteilen, denn die Rückgewinnung von Bitumen geht nicht mal eben so. Doch auch diesmal war es so, dass andere Prüfer Fragen stellten und Interesse zeigten. Die Prüferin, die seine Arbeit zu beurteilen hatte, empfahl ihren Auszubildenden, ihm über die Schulter zu schauen. Die Begeisterung der anderen gab schlussendlich ein gutes Gefühl.

Einen Tag später hat er dann von seinem Ausbilder Fred Kräker gesagt bekommen, dass es für die Eins vor dem Komma gereicht hat – mehr nicht. Und es kamen die ersten Anrufe, darunter auch vom Ausbildungsvertreter des KIT, der darum bat, dass Johannes Klauke am Donnerstag anwesend sein sollte. An jenem Donnerstag kam die erste Ehrung, in der Klauke durch einen Versprecher das Ergebnis erfuhr. 95 % erreichte er in der Theorieprüfung, 99 % in der praktischen. Von 100 möglichen Punkten stehen also auf dem Ausbildungszeugnis 97.

Johannes Klauke wurde somit nicht nur der beste von 59 Azubis des KIT 2012, nicht nur der beste Azubi im Beruf Baustoffprüfer der IHK Karlsruhe, nicht nur der beste Azubi im Beruf Baustoffprüfer der IHK Baden-Württemberg, sondern der beste Prüfungsteilnehmer Deutschlands im Ausbildungsberuf Baustoffprüfer 2012 überhaupt.

Das macht ihn stolz. Zu Recht. Nicht gerechnet hat er jedoch mit dem sich daraus ergebenden Prozedere. Er hat doch nur seine Arbeit gemacht. Wenn auch ausgezeichnet.

Für die Ehrung bei der IHK in Karlsruhe hat er dann auch einen Anzug angezogen. Zum zweiten Mal in seinem Leben. Die Premiere war, als seine Schwester geheiratet hat. Ein Hemd gab es dennoch nicht. Da wäre er nicht mehr er selbst gewesen. Der Anzug war reiner Respekt vor der Förmlichkeit der Veranstaltung.

So toll manche Reaktionen, manch Schulterklopfen auch waren, es gab auch die andere Seite. „Wie kann man so einer Person einen Ausbildungsplatz geben“ oder „Am KIT nehmen die auch jeden“. Doch „ich habe im Laufe der Zeit ein dickes Fell bekommen und weiß, dass es oft nicht wirklich so gemeint ist“, so Johannes Klauke. Was ihn aber stark gestört hat ist, dass bei den Ehrungen alle anderen erfolgreichen Auszubildenden nach fachlichen Dingen befragt wurden. Bei ihm wurde nachgefragt, wie lange er vor dem Spiegel stand. Da kamen ihm dann Zweifel, ob es sinnvoll ist, zu den nächsten Veranstaltungen auch zu gehen. Doch er blieb dabei, um zu zeigen, dass es nicht auf das Aussehen ankommt, ob jemand seine Ausbildung, seine Arbeit gut macht.

Natürlich gibt es Berufe, wo das Aussehen eine Rolle spielt. Aber ebenso viele, wo das egal ist. Und wenn sich jemand im Zweifel ist, gibt’s ja immer noch die Möglichkeit, jemanden Probe arbeiten zu lassen, um das Bild von einem Menschen von der reinen Optik her zu erweitern. Johannes Klauke hat den Beweis erbracht. Und ich habe ihn, auch wenn es mich eigentlich interessiert hat, nicht gefragt, wie viel Haarspray er im Monat verbraucht. Denn Sie frage ich das ja auch nicht.

Maike Sutor-Fiedler

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