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Archiv 10. Februar 2014

Investitionsbedarf für eine funktionsfähige Infrastruktur

Selten war die Verkehrsinfrastrukturpolitik so präsent in einem Bundestagswahlkampf
wie 2013. Der Sanierungsbedarf an Straßen und Brücken ist mittlerweile für die Bürger
und damit auch für die Spitzenpolitiker unübersehbar. Es wächst die Einsicht, dass Bund,
Länder und Gemeinden an einer Sanierung und Modernisierung der Verkehrswege nicht
mehr vorbei kommen, wenn wir mobil bleiben wollen.

In den Kommunen klafft eine Investitionslcke von 3 Milliarden Euro jhrlich.
In den Kommunen klafft eine Investitionslcke von 3 Milliarden Euro jhrlich.

Tempo 30 wegen Straßenschäden oder eingeschränkter Traglasten von Brücken sind mittlerweile weit verbreitet in Deutschland. Viele Fahrbahnen nähern sich dem Ende ihrer technischen
Lebensdauer – planmäßig oder vorzeitig, wenn Unterhaltung und Instandsetzung in der Vergangenheit zu kurz gekommen sind.

Es gibt also viel zu tun, um auch in der Zukunft Mobilität zu ermöglichen und Erreichbarkeit zu gewährleisten. Das ist mittlerweile über die Verkehrspolitik hin aus akzeptiert.

Traurige Realitt in deutschen Stdten: Temporeduzierung wegen Straenschden.Foto: Foto: Pro Mobilitt

Weniger wahrgenommen wird in der Politik, dass eine funktionsfähige Infrastruktur über die Betrachtung des baulichen Zustands hinausgehen und steigende gesellschaftliche Anforderungen antizipieren muss. Ob mit Pkw, Lkw, Bus, dem Fahrrad oder zu Fuß, alle sollten sich gemeinsam verkehrssicherer fortbewegen können. Erwartungen nach weniger Lärm und Emissionen sind ebenso zu berücksichtigen wie die Veränderungen der Nachfrage durch Multimodalität oder demografischen Wandel. Ob effiziente Erhaltung, Verkehrssicherheit, Lärmschutz oder Luftqualität – neue Produkte und Verfahren im Straßenbau oder bei der Straßenausstattung eröffnen hier Potenziale. Auch intelligente Verkehrstechnik, die Vernetzung mit anderen Verkehrswegen und die Anpassung des Straßenraums an zunehmenden Radverkehr, neue Energieformen und Carsharing gehören dazu.

Unsere Infrastruktur nicht nur in einen angemessenen baulichen Zustand zu versetzen, sondern sie für Mobilität, Lebensqualität und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu modernisieren, ist deshalb eine wichtige Zukunftsaufgabe für unsere Gesellschaft. Das muss für jede politische Ebene Priorität haben.

Anteil der Investitionen in Straen am Bruttoinlandsprodukt 2011 (in Prozent)Foto: Quellen: ITF, Pro Mobilitt
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In den letzten beiden Jahrzehnten war dies zu wenig der Fall. Unser Land investierte trotz seiner Drehscheibenfunktion im europäischen Verkehrsnetz weniger als viele Nachbarstaaten. Deutschland ist heute bei der Qualität seiner Straßen im europäischen Vergleich längst kein Vorbild mehr. Reichte es 2008 beim Standortranking des Weltwirtschaftsforums bei der Qualität der Straßen noch für Platz vier, finden wir uns mittlerweile auf Platz elf wieder. Bei anderen Verkehrswegen befinden wir uns ebenfalls im Abwärtstrend. Auch das seit Jahren rückläufige Anlagevermögen des kommunalen Straßennetzes sollte uns zu denken geben.

Der Ausfall wichtiger Brücken wegen baulicher Mängel hat uns im letzten Jahr die Anfälligkeit unserer Verkehrsnetze schmerzhaft vor Augen geführt.

Investitionsbedarf an Bundesfernstraen. Sonstiges (Lrmschutz, Telematik, Stellpltze, ?) aufgeteilt.Foto: Quellen: Deutscher Bundestag, Daehre-Kommission, Pro Mobilitt

Pro Mobilität hat dies am Beispiel der Sperrung der Rheinbrücke für Lkw an der A1 bei Leverkusen untersuchen lassen. In den drei Monaten entstanden durch Zeitverluste und Mehrverbrauch an Kraftstoffen volkswirtschaftliche Kosten von schätzungsweise 60 bis 80 Millionen Euro. Betroffen waren vor allem die Logistik und die regionale Wirtschaft. Weitere Sperrungen der Brücke schließt das zuständige Ministerium bis zur Fertigstellung des Ersatzneubaus nicht aus. Es ließen sich viele weitere Beispiele nennen, wo Bund, Länder, Kommunen und Verkehrsbetriebe vor großen Herausforderungen stehen, überfällige Sanierungen und Modernisierungen vorhandener Infrastruktur in Angriff zu nehmen. Meist fehlt es am Geld. Dies führt zwangsläufig zu der Frage, was wäre notwendig. Die Antwort darauf fällt weniger leicht, als dies in Zeiten des Internets und einer Überfülle an Daten zu erwarten wäre. Manche Straßenbaulastträger nutzen Managementsysteme und kennen so Zustand, Werteverzehr und zukünftigen Erhaltungsbedarf auf Knopfdruck. Doch das ist gerade auf der kommunalen Ebene immer noch eher die Ausnahme. Transparenz und klare Zielvorstellungen sind zwar kein Garant für höhere Etats, doch sie verbessern die Entscheidungsgrundlagen der Politik und in der Regel auch die Effizienz der Mittelverwendung. Doch beides verbessert die Möglichkeiten, Investitionen, deren Wirkungen oft erst nach Jahren sichtbar werden und nicht wie höhere Sozialausgaben politisch sofort wählerwirksam sind, der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Investitionslcke im Straennetz in Deutschland (in Milliarden Euro)Foto: Quelle: Pro Mobilitt

Den Investitionsbedarf für die Verkehrswege aller föderalen Ebenen abzuschätzen, haben erstmalig die Daehre- und später dann die Bodewig-Kommission vor der Bundestagswahl im Auftrag und unter Beteiligung der Länder vorgenommen. Sie haben sich dabei vorrangig auf den Bedarf für Betrieb und Erhalt konzentriert, weil Aus- und Neubau bei Ländern und Kommunen einen überschaubaren Anteil haben. Auf der Bundesebene sieht dies allerdings anders aus, wie die zahlreichen Vorschläge für Engpassbeseitigungen und Lückenschlüsse an Fernstraßen im Rahmen der anstehenden Bundesverkehrswegeplanung 2015 zeigen. Dennoch haben sich beide Kommissionen verdient gemacht. Gut herausgearbeitet wurde, dass es neben Defiziten in der regulären Erhaltung einen erheblichen Nachholbedarf gibt, der zügig abgearbeitet werden sollte, um strategisches Netzmanagement wirksam einsetzen zu können. Auch die Vorteile mehrjähriger Finanzierung wurden plausibel dargestellt. Den Kommissionen ist es gelungen, die öffentliche Wahrnehmung für den Finanzbedarf der Verkehrswege
erheblich zu verstärken.

Den Investitionsbedarf für Bundesfernstraßen schätzt Pro Mobilität etwas höher als die Daehre-Kommission ein, weil wir zusätzlichen Aus- und Neubaubedarf sehen. Der ADAC zählte 2013 rund 415.000 Staus auf deutschen Autobahnen, soviel wie nie. Außerdem gibt es einen erheblichen Rückstand bei der Umsetzung des laufenden Bundesverkehrswegeplans, der sich allein durch Prioritätensetzung nicht aufholen lässt. Unstreitig ist, dass die Erhaltung um mindestens 1 Milliarde Euro verstärkt werden muss. Das deckt sich auch mit den Ergebnissen der Erhaltungsbedarfsprognose 2025 des Bundes. Insgesamt besteht auf Seiten des Bundes bei Fernstraßen eine Lücke von rund 3 Milliarden Euro pro Jahr.

Für die Länderebene ist der Datenbestand dürftig, was u. a. an den sehr unterschiedlichen Organisationsformen in Behörden und Landesbetrieben liegt. Ausgehend von einem Investitionsniveau von rund 1,2 Milliarden Euro fehlen hier mindestens 500 Millionen Euro pro Jahr. Kommunen und Kreise waren lange Zeit der größte Auftraggeber im Straßenbau. Waren es im Jahr 2000 noch rund 8 Milliarden Euro, so investieren sie heute nur noch rund 5 Milliarden Euro. Die Differenz entspricht auch der heutigen Investitionslücke. Gerade die Kommunen müssen sich in den kommenden Jahren vielen der steigenden Anforderungen stellen, die eingangs beschrieben wurden: Verkehrssicherheit, demografischer Wandel, Multimodalität und Lärmschutz.

Dabei werden insbesondere Städte und Gemeinden in Regionen mit abnehmender Bevölkerung finanzielle und konzeptionelle Unterstützung benötigen, um Mobilität und Infrastruktur langfristig zu gewährleisten. Den anstehenden Verhandlungen von Bund und Ländern zur Neugestaltung der föderalen Finanzbeziehungen für die Zeit nach 2019 wird daher eine große Bedeutung zukommen.

Union und SPD bekennen sich im Koalitionsvertrag zu Mobilität als wesentlicher Voraussetzung für persönliche Freiheit, gesellschaftliche Teilhabe sowie für Wohlstand und Wirtschaftswachstum. In einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur sehen sie dafür die Grundlage. Die Aufstockung der Gesamtinvestitionen in Fernstraßen, Schienenwege und Wasserstraßen um durchschnittlich 1,3 Milliarden Euro bis 2017 sind ein Fortschritt. Sie reichen aber nicht aus, die Investitionslücken spürbar zu verringern, die allein in den deutschen Straßennetzen sich auf insgesamt 8 Milliarden Euro jährlich belaufen.

Fazit und Bewertung

Die angestrebten Ausweitungen von Mautgebühren werden überwiegend erst in der nächsten Legislaturperiode finanziell relevant. Jede politische Ebene bleibt somit gefordert, ihre Anstrengungen heute zu verstärken, mehr in die Verkehrsinfrastruktur zu investieren und alle Möglichkeiten zu nutzen, dies effizienter zu tun. Der Beginn einer Modernisierungsoffensive wäre ein wichtiger Baustein für die Zukunft unseres Landes.
Stefan Gerwens, Geschftsfhrer Pro Mobilitt ? Initiative fr Verkehrsinfrastruktur e. V., BerlinFoto: Foto: Pro Mobilitt

Stefan Gerwens, Geschäftsführer Pro Mobilität –
Initiative für Verkehrsinfrastruktur e. V., Berlin
Tel.: +49 (0) 30 224884-12
E-Mail: gerwens@promobilitaet.de

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