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MessEV verursacht Stau an der Waage

Die am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Mess- und Eichverordnung
stellt vor allem kleine und mittelständische Recycling-, Roh- und Baustoffbetriebe, die nur über eine Fahrzeugwaage verfügen, vor große Schwierigkeiten. Gespeicherte Gewichtswerte für Kraftfahrzeuge dürfen laut § 26 nur noch unmittelbar vor und nach der Wägung verwendet werden.

Die am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Mess- und Eichverordnung stellt vor allem kleine und mittelständische Recycling-, Roh- und Baustoffbetriebe, die nur über eine Fahrzeugwaage verfügen, vor große Schwierigkeiten.
In der über 70 Seiten starken „Verordnung zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens und zur Anpassung an europäische Rechtsprechung“ heißt es in § 26 im letzten Absatz: „Gespeicherte Gewichtswerte für Kraftfahrzeuge dürfen zur Bestimmung von Nettowerten nur herangezogen werden, wenn sie unmittelbar vor und nach der Wägung des beladenen Kraftfahrzeugs festgestellt wurden.“ Dieser Satz, der fast beiläufig klingt, erschien den Behörden wohl nicht wichtig genug, um ihn in den Informationsschriften aufzunehmen, die Betreiber von Straßenfahrzeugwaagen darüber aufklären sollen, wie sie fortan gesetzeskonform verwiegen. Stattdessen nur Hinweise auf das korrekte Aufstellen von Anzeigetafeln, die Höhe des Bußgeldes bei Missachtung der neuen Regeln, die Anzeigepflicht neuer und erneuerter Waagen beim Eichamt und dass der Verwieger doch bitte schön stets die Bedienungsanleitung der Waage griffparat haben soll.

Der Bundesrat hat der neuen Mess- und Eichverordnung Anfang Dezember 2014 seinen Segen erteilt. Damit soll europäisches Recht auch im deutschen Messwesen Einzug erhalten. Das Ziel des neuen Gesetzes ist klar: Der Verbraucher soll für eine Ware, deren Preis über das Gewicht ermittelt wird, nur den tatsächlichen Gegenwert bezahlen müssen. Klar ist auch, dass es bei hochpreisigen Produkten wie Lebensmitteln, Benzin oder Edelsteinen ohne ein präzises Messwesen ungerecht zugehen würde. Bei Tonnenabgaben von niedrigpreisigen mineralischen Rohstoffen (Kies je nach Qualität um die 8 Euro pro Tonne) aber fallen ein paar Kilo mehr oder weniger preismäßig kaum ins Gewicht. Gravierender können die Differenzen zwischen gespeichertem und tatsächlichem Leergewicht durch einen leeren und vollen Treibstofftank oder nach Winterreparaturen an den Fahrzeugen ausfallen. Um diese Differenzen auszugleichen, die mal zulasten des Händlers und mal zulasten des Kunden gehen, müssen manche Betriebe entweder kräftig investieren oder eine ganze Reihe anderer Schwierigkeiten in Kauf nehmen.

Guido Lenz, Betriebsleiter beim Baustoffhersteller Dr. Clement GmbH und Co. KG in Koblenz, weiß, was § 26 für die Praxis bedeutet. „Viele kleinere und mittelständische Baustoff- und Recyclingbetriebe verfügen nur über eine Fahrzeugwaage“, berichtet er. In der Vergangenheit reichte das vollkommen aus, denn nur Neukunden mussten zur Eingangsverwiegung auf die Waage. Bei Stammkunden wurde bei der Abrechnung das gespeicherte Fahrzeug-Leergewicht zugrunde gelegt, „wobei wir Stammkunden stichprobenweise mindestens zweimal pro Kalenderjahr neu eingewogen haben.“

Im Grunde genommen geht es in einem Baustoffbetrieb nicht anders zu als in einem Supermarkt, nur in größerer Dimension. Die Kunden fahren mit ihrem „Einkaufswagen“ zur Baustoffverladung, gehen dann zur Kasse (also Waage) und bezahlen. Vor der Gesetzesänderung diente die stationäre Waage überwiegend zur Ausgangsverwiegung, nun muss sie zusätzlich den Eingangsverkehr bewältigen. Unter diesen Vorzeichen ist Stau vorprogrammiert, genauso wie sich lange Schlangen bilden, wenn man Supermarktkunden plötzlich dazu auffordert, an der Kasse zuerst einmal ihren Einkaufskorb wiegen zu lassen, bevor sie sich am Kühlregal bedienen können, um sich dann zum Bezahlen noch einmal anstellen zu müssen. Wer sich als Rohstoffbetrieb weiterhin gesetzeskonform verhalten will, muss seinen Kunden erklären, warum sie nun mehrfach zur Waage gebeten werden, egal ob sie am Morgen schon einmal leer gewogen wurden oder nicht. Das allein kostet Nerven und Zeit. Bei Baustoffbetrieben mit kurzen Zufahrten kann sich die Lkw-Schlange in Stoßzeiten bis zur Hauptstraße hinziehen. Die meisten Kunden würden vermutlich lieber die Wiegedifferenzen in Kauf nehmen, wenn ihnen dafür die Wartezeit erspart bliebe.

Guido Lenz sieht bei Betreibern von mechanischen Fahrzeugwaagen noch ein weiteres Problem: „Die Lkw fahren ja nicht in gleicher Reihenfolge ein und aus und es kostet Zeit, die eingangs ermittelten Leergewichte immer korrekt den ausfahrenden beladenen Fahrzeugen zuzuordnen“, erklärt er. Wer eine digitale Waage betreibt, hat es in diesem Punkt leichter, kommt aber um die Leerverwiegung auch nicht herum. Betriebe, die über mehrere Fahrzeugwaagen verfügen, müssen sich ebenfalls auf den zusätzlichen Zeitaufwand der Eingangsverwiegung einstellen. Wohlgemerkt: bei jedem Einkauf.

Das Gesetz nennt keine Übergangsfristen. Lediglich das Bayerische Landesamt für Maß und Gewicht hat Verwendern von Straßenfahrzeugwaagen zur Umrüstung ihrer Wiegeabläufe eine Übergangsfrist bis zum 31.Dezember 2016 eingeräumt. Kein anderes Bundesland ist dem Beispiel des Freistaats bisher gefolgt. Wie der Baustoffverband vero mitteilte, sei das Thema Übergangsfristen bei einer AGME-Sitzung (Eichbehörden aller Bundesländer) im Februar kurz angesprochen worden. Die Eichbehörden hätten eine gewisse Zurückhaltung für einen Übergangszeitraum gezeigt, auch sei die Rede davon gewesen, Übergangsfristen lediglich in Einzelfällen gewähren zu wollen. Guido Lenz kann darüber nur den Kopf schütteln. Auch er machte die Erfahrung, dass ihm seine zuständige Eichbehörde einige Antworten schuldig blieb. So fragte er nach, ob bei der Verwiegung mit einer mobilen Radladerwaage noch eine Kontrollwiegung verlangt wird. Der Beamte wusste es nicht.

Wer Stau und Ärger vermeiden will, dem bleiben eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Installation einer zweiten stationären Waage, das allerdings erfordert hohe Investitionskosten und Zeit, denn ein solches technisches Bauwerk lässt sich nicht von heute auf morgen realisieren. Oder: Einsatz einer mobilen geeichten Radladerwaage. Auf eine solche kann auch Guido Lenz in seinem Betrieb zurückgreifen, „diese haben wir jedoch noch nicht mit dem passenden Warenwirtschaftssystem ausstatten können“, erklärt er. Heißt im Klartext: der Radlader muss noch zur Kasse umfunktioniert werden, die auch den Lieferschein ausdrucken kann.

Eine weitere wesentliche Änderung des neuen Gesetzes betrifft die Anzeigepflicht von Messgeräten. Die bisherige Ersteichung von Waagen entfällt. Stattdessen müssen Betreiber ihrer zuständigen Eichbehörde die Inbetriebnahme eines neuen oder erneuerten Messgerätes innerhalb von sechs Wochen melden. Ein Messgerät, das bereits vor dem 01. Januar 2015 verwendet wurde, muss nur gemeldet werden, wenn es im Zuge einer Erneuerung so wesentlich verändert wurde, dass eine erneute Konformitätsbewertung durchgeführt werden muss. Die Meldung kann über das Internet unter (www.eichamt.de) erfolgen, erlaubt ist auch die Beauftragung eines Dritten, zum Beispiel des Waagen-Herstellers. Anzugeben sind die Geräteart, der Hersteller, die Typbezeichnung, das Jahr der Kennzeichnung und Anschrift des Verwenders.

Betriebsleiter Lenz könnte also seine mobile Radladerwaage sofort verwenden, ohne sie dem Eichamt anzeigen zu müssen. Was aber bleibt, sind die vielen offenen Fragen, stirnrunzelnde Kunden und Staus an den Waagen. (Ute Schroeter) 

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